Kulturkampf vs. Strukturkampf? Wie Trump siegen konnte

Michael Opielka – 11. November 2016

Der Sieg des Donald Trump wird die Welt noch lange beunruhigen, Erklärungssuche allenthalben. Am Tag nach der Wahl erinnerte sich Thomas B. Edsall in der New York Times an die Überlegungen des Wissenssoziologen Thomas K. Merton zu den „kleinen Nachteilen“, die sich so addieren können, dass sie zu einem Strudel großer Nachteile werden (http://garfield.library.upenn.edu/merton/matthewii.pdf). Auf den ersten Blick ging es für Hillary Clinton gut aus, etwa 400.000 Stimmen mehr landeten auf ihrem Konto. Doch Trump erhielt etwa 60 Wahlmänner mehr (das finale Ergebnis steht noch aus). Schuld an Clintons Niederlage war also das merkwürdig zweistufige Wahlsystem, es war zugleich die Chance für Trump, der alles Politisch-Systemische ansonsten beschimpfte. Doch Edsall schaut sich die Daten genauer an und dann wird es interessanter, vor allem im Vergleich zu den Ergebnissen, die Barack Obama bei der letzten Wahl erzielte (http://www.nytimes.com/2016/11/10/opinion/presidential-small-ball.html): „Clinton held an 80-point advantage among African-Americans, but was unable to match Obama’s 87-point edge in 2012 or his 91 points in 2008. She won 65 percent of Latino voters, compared with the 71 percent who voted for Obama in 2012. She won 28 percent of non-college white voters to Trump’s 67 percent, the largest gap in this demographic since the early 1980s, according to Pew. Moreover, she lost whites with college degrees 49-45. Among millennials, she won 54 percent of voters aged 18 to 29, compared with 60 percent for Obama in 2012.” Offensichtlich gelang es Clinton nicht, selbst das Potential der Demokraten auszuschöpfen. Das war zum einen Ungeschick im Umgang mit der Email-Affäre um ihren Hausserver mit Geheimmails, um ihre Wall-Street-Affinität mit Redegroßhonoraren oder um ihre Ohnmacht an 9/11. Aber mehr als das: nie legte sie die Karten auf den Tisch und entschuldigte sich klar. Die Leute spürten: sie kann sich nicht entschuldigen, sie kann auch nichts offenlegen, denn sie bereut nichts. Einem Angeber wie Trump sehen es die Anhänger sowieso und auch die Wechselmütigen nach: keiner erwartete von ihm Ehrlichkeit in eigener Sache. Doch bei den Politisch Korrekten, für die Clinton stand, erwartet man das durchaus. Ihre Allianz mit den Reichen und Mächtigen, gegen die ihr einzig relevanter innerparteilicher Konkurrent, Bernie Sanders, eine breite Koalition schmiedete, repräsentierte für das Publikum kein Programm der sozialen Gerechtigkeit, sondern nur ein Programm kultureller Gerechtigkeit: dass Clinton liberal ist und Diversität schätzt, stellte niemand in Frage. Clinton verhedderte sich damit in einem doppelten Strukturkampf: der Wahlkampf rumpelte und ein Gleichheitsversprechen fehlte.

Die Gegenseite hatte ein bescheidenes Struktur-, aber dafür ein gewaltiges Kulturversprechen: Trump, aber auch die rechtsgerückten Republikaner boten kein Gleichheits-, sondern ein Wachstumsversprechen mit Aufzugcharakter, wie schon die Reagonomics von 1981 bis 1989. Deregulierung soll die Wirtschaft beflügeln, der Markt soll die Basis-Struktur der Gesellschaft bilden, der Staat wird wirtschaftsliberal limitiert. Das soll die ganze Gesellschaft strukturell anheben, dadurch soll es auch den Arbeitern besser gehen, den Reichen ohnehin. Dass dieses Wachstumsversprechen nicht zu mehr Gleichheit, aber auch nicht zu mehr Wohlstand der sozial Deklassierten führt, wird mit viel heißer Luft vernebelt: „make America great again“, niemand glaubt, dass man die Globalisierung zurückdrehen kann. Umso gewaltiger daher das Kulturprojekt: American Greatness ist weitaus mehr ein neokonservatives als ein neoliberales Projekt. Gleichheit gilt als unnatürlich, Weißsein als amerikanisch wie Waffentragendürfen, vulgär sein, dicke Autos fahren, Kultur verachten, Minderheiten verlachen, Korruption hinnehmen und Frauen nehmen, kurz: die Klaviatur des Rechtspopulismus bedienen, einfache Lösungen behaupten, vor allem aber: herrlich politisch unkorrekt sein! Keine Rücksicht nehmen müssen!

Hätte Clinton glaubwürdig ein Strukturprojekt relativer Gleichheit verfolgt, hätte sie Trump auf diesem Feld stellen können. Schwieriger ist der Kulturkampf. Die USA, ja ganz Amerika, vielleicht sogar die ganze Welt sind derzeit im Kulturwahn, den die Rechtspopulisten besonders geschickt bedienen und nicht erst jetzt, Jan-Werner Müller hat nachgezeichnet, wie heftig die Polarisierung der politischen Kultur der USA seit langem betrieben wird (http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-amerika/donald-trump-polarisiert-bei-us-wahl-2016-nicht-als-erster-14515458.html). Obama gelang es immer wieder zu beruhigen, Gelassenheit zur repräsentieren, Chef zu demonstrieren, ohne zu unterwerfen, ein sehr zeitgemäßes Führungskonzept. Clinton hätte das leisten können, wenn sie ehrlicher gewesen wäre: ihre Wall-Street-Reden veröffentlichen und begründen, warum sie das so sagte, oder sich zu distanzieren, wenn sie es nicht wieder so sagen würde; ihre Email-Praxis offensiv zu bedauern und vor allem nichts zu vertuschen; und als sie an Ground Zero zusammenbrach, was hätte dagegen gesprochen zu sagen, was war: ich habe eine Lungenentzündung, doch wollte aus patriotischem Empfinden bei der Feier dabei sein, aber es war zu viel. Clinton verlor den Kulturkampf um die Mitte, um diejenigen, die sich in der Polarisierung von links und rechts nicht wohlfühlen. Viele von ihnen wählten das aus ihrer Sicht kleinere Übel Trump. Der Kulturkampf ist kein Faktenkampf, er ist ein Ideenkampf. Ideenkämpfe brauchen Glaubwürdigkeit. Trump war in seiner Arena glaubwürdig. Doch Clinton in ihrer nicht, sie war politisch nicht so korrekt, wie es die Leute in ihrer Arena erwarteten. Daraus lässt sich einiges lernen für die nächsten Wahlen in Deutschland und Europa. Denn zum Glück gilt: Nach der Wahl ist vor der Wahl.