Migration versus Sozialstaat? Ein Wahlproblem von AfD, Trump, FPÖ und Co.

Michael Opielka – 16. September 2017

Der Aufstieg der Rechtspopulisten bis Rechtsextremen in den letzten Jahren hat drei Ursachen: zum einen generell und schon sehr viel länger das Unbehagen an der Moderne, die ständische Ordnungen abschafft, das Individuum frei setzt und die Gleichheit aller Menschen zumindest behauptet. Konservative räsonieren darüber, aber machen mit. Rechtspopulisten und Rechtsextreme fordern eine Revolution von rechts und nach rechts. Dort wo sie gelang, wie im deutschen Nationalsozialismus, im italienischen oder spanischen Faschismus, war das Resultat grauenhaft und mörderisch, was aber bis heute einen Teil des rechten Personals nicht davon abhält, nach dem Guten im Bösen zu suchen, von der Autobahn bis zur Wehrmacht, wie zuletzt der AfD-„Denker“ Gauland. Nicht alle Rechtspopulisten und Rechtsextremen sind zugleich Rassisten, aber die Mehrheit und das heißt vor allem in Europa immer auch Antisemiten, Judenhasser, verhinderte Judenmörder und weil sich das hier nicht mehr gehört, soll das die arabische Welt an den Zionisten erledigen. Die zweite Ursache der rechten Welle ist die Globalisierung mit zwei Komponenten, der Durchsetzung des Marktprinzips und dem Bedeutungsverlust des Nationalstaats. Beides trifft die Rechten hart: sie hadern mit dem Marktprinzip, weil in ihm durch sein Normativ „Leistung“ eine grundlegende, wenn auch limitierte Gleichheit innewohnt – daran erinnern die Liberalen durchaus zurecht und übersehen, dass Leistung nie objektiv gemessen werden kann. Nicht weniger klagen die Rechten über den Verlust des Nationalen, in dem sie die neue Ordnung nach der feudalen Gesellschaft erkennen, die nationale Gemeinschaft wird als Volksgemeinschaft, als heiliges Russland oder als America first! beschworen, die durch Völkerrecht, EU und UN bedroht wird. Die dritte Ursache ist die Wohlstandsmigration. Ohne ein seit Jahren geschürtes Ressentiment gegen dunkelhäutigere, mediterrane Muslime, Schwarzafrikaner, Mexikaner und Türken im Besonderen, die nun ein drittes Mal vor Wien lauern, wären die Wahlerfolge des aktuellen Rechtspopulismus undenkbar. Von Wohlstandsmigration müssen wir wohl deshalb sprechen, weil eine befristete Kriegsflucht oder politische Verfolgung zumindest in Mitteleuropa aufgrund der eigenen Kriegs- und Unterdrückungsgeschichte nach wie vor auf große Hilfsbereitschaft stoßen. Warum aber tut man sich mit Wohlstandsmigration so schwer, warum scheinen sich in ihr alle drei Ursachen der rechten Welle, Modernekritik, Globalisierung und Migration geradezu zu vereinen und zu steigern?

Dazu lohnt der Blick in ein Buch, dass sich nicht zu kaufen lohnt und das doch in hoher Auflage verkauft wird. Es ist das Buch von Rolf Peter Sieferle, der sich – ganz sicher tragisch, aber eben auch verrückt – im September 2016 suizidierte. Bekannt wurde er in 2017 durch sein Buch „Finis Germania“, eine schwadronierende, völkische Katastrophenmalerei, die dank eines SPIEGEL-Redakteurs erst in eine Auswahlliste und dann auf die Bestsellerlisten gelangte. Es erschien in Schnellroda, im Verlag des Rechtsextremen Kubitschek, in der Reihe „Kaplaken“, die richtig „Kakerlaken“ heißen müsste. Für die deutsche und europäische Problemstellung dürfte aber sein zweites, posthum veröffentlichtes Buch noch relevanter sein: „Das Migrationsproblem. Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung“. Ich habe es bestellt, weil wir über Zukunft forschen und wissen müssen, was im rechten Sumpf gedacht wird. Aber dann war ich doch überrascht, wo es erschien: in einer Reihe namens „Tumult“ und diese wiederum, wie das Impressum weiß, in der „Manuscriptum Verlagsbuchhandlung Thomas Hoof KG“. Da wird einem doch anders, liegt doch an schöner Stelle der edle Katalog von Manufactum, das einst von jenem Herrn Hoof gegründet wurde, zuvor Landesgeschäftsführer der Grünen, ein ökologischer Hochpreisversender, der seit 2008 ganz von der OTTO-Gruppe übernommen wurde. Manufactum wie Hoofs Rechtsverlag residieren in Waltrop. Sieferle schreibt im Buch (auf Seite 25): „Den eigentlichen Todesstoß erhält der Sozialstaat jedoch durch die Massenimmigration unqualifizierter Menschen, die in den National-Sozial-Staaten ihr Glück suchen. Für die komplexe Anforderungen stellenden Arbeitsmärkte sind sie fast alle untauglich, und es würde mehrere Generationen dauern, bis sie akkulturiert bzw. assimiliert sind. Also werden sie vom Sozialsystem alimentiert, und zwar in enorm wachsender Zahl. Dies bringt jedoch die Sozialsysteme aus dem Gleichgewicht.“ Auf Seite 41 wird ökologisch nachgelegt: „Auch unter dem Aspekt der ökologischen Nachhaltigkeit ist die weitere Anfüllung ohnehin schon dichtbevölkerter Gebiete mit Immigranten ein sinnloser Akt. Der ‚Fußabdruck‘ eines Menschen ist in Europa größer als in Afrika. Die Immigration führt somit zu einer überproportionalen ökologischen Belastung, unabhängig davon, ob die Immigranten arbeiten oder eine Sozialstaatsrente beziehen. Dieser Prozess ist heute so weit fortgeschritten, dass der Untergang Europas, d.h. seine Islamisierung bzw. Afrikanisierung wahrscheinlich unvermeidlich ist. (…) Es wird daher zu schweren Konflikten kommen, wenn der zivilisierte Teil der Bevölkerung nicht mehr in der Lage ist, die eingewanderten Barbarenstämme durchzufüttern, die glauben, ein Recht darauf zu haben.“ Nun, Sieferle, Hoof, Kubitschek, Weidel, Gauland, Petry, Wilders, Strache, Berlusconi, Le Pen und andere der Neuen Rechten Welle dürften nicht zu diesem „zivilisierten Teil der Bevölkerung“ gehören, dann dazu gehört doch ein Mindestmaß an Bildung und Respekt gegenüber anderen Menschen. Insoweit war Sieferles Suizid ein verständlicher paranoider Akt und man möchte seinen Mitwellenreitern fast empfehlen, sich hier ein Vorbild zu nehmen. Diesseits des Sarkasmus zeigen solche Gedanken, die in hoher Auflage und hunderttausendfach verstärkt durch die sozialen Medien stürmen aber auch etwas an, was die wirklich Zivilisierten und Gebildeten ernst nehmen müssen: die Rechtspopulisten und Rechtsextremen haben intellektuell durchaus aufgerüstet. Mit der Alternativsetzung „Migration versus Sozialstaat“ besetzen sie ein Thema, vor dem sich Linke, Liberale, Grüne und Konservative durchaus drücken – auch weil sie Angst haben, vom rechten Gift angesteckt zu werden.

Natürlich sind Migration und Sozialstaat kein Widerspruch. Wer sich mit Sozialer Nachhaltigkeit beschäftigt, der weiß das. Das quantitative, materielle Wachstumsversprechen des „sozialdemokratischen Jahrhunderts“, wie Ralf Dahrendorf das 20. Jahrhundert nannte, in dem sich die Reichen und die (männlichen) Arbeiter in einem Pakt der Externalisierung zusammen schlossen: gegen die Natur und die armen Arbeiter in der dritten und vierten Welt, ist noch längst nicht am Ende. Man muss dazu nur über eine Autoausstellung flanieren oder die Werbeprospekte der Kreuzfahrtindustrie lesen. SUVs und Champagner satt sind nach wie vor der Traum der Massen und sie sind für viele realisierbarer denn je. Deshalb kann Angela Merkel für diese Vielen mit einem Deutschland werben, „in dem wir gut und gerne leben“. Die Lindner-Liberalen möchten den Externalisierungspakt zumindest für die Hipster weiterschließen, von Sozialstaat und Ökologie halten sie ohnehin nicht so viel. Die Sozialdemokraten halten Ökologie nach wie vor für sekundär, wie Martin Schulz im Fernsehgespräch mit der Kanzlerin durch Nichtnennung zeigte. Linke wie Grüne reden zumindest für beides, für Sozialstaat und Ökologie, nur in Sachen Migration taumeln sie. In dieser kulturellen Unübersichtlichkeit kann sich das rechte Gedankengift mit seiner menschenverachtenden Sprache viel zu ungehemmt ausbreiten. Es wird so schnell nicht vertrocknen. Wer Zivilisation will, muss die Ärmel hochkrempeln und Hirn mit Herz benutzen.

Nach der Bundestagswahl sollte dieses Wahlproblem endlich gelöst werden, muss die Spannung von Migration und Sozialstaat entspannt werden. Dazu gibt es gute Vorschläge, die besten stammen vom in Oxford lehrenden Paul Collier, bereits in seinem Buch „Exodus“ (2014) und im neuen, mit Alexander Betts verfassten „Gestrandet“ (2017) wird ein rationaler, ganzheitlicher Lösungsansatz beschrieben, der immer drei Stakeholder berücksichtigen muss: die Migranten, die Zuwanderungsgesellschaft und die Herkunftsgesellschaft. Alle drei haben berechtigte Interessen. Auf der kleinräumigen Ebene des deutschen Sozialstaats bedeutet Soziale Nachhaltigkeit schlicht auch, dass sich alle Beteiligten anständig, respektvoll verhalten müssen. Migranten, ob aus Russland, dem Kosovo, aus dem Irak oder Tunesien, die sich nicht nur nicht benehmen wollen, sondern belästigend, vergewaltigend, kriminell oder terroristisch orientiert sind, müssen gehen, entweder zurück oder in Strafanstalten, Abschreckung ist bei schlichten Gestalten unverzichtbar. Meistens handelt es sich bei den unzivilisierten Migranten um jüngere Männer, die „ihre“ Mädchen und Frauen zu Heiligen machen und die zivilisierten Mädchen zu Huren. Das klingt etwas deftig für einen wissenschaftlichen Kommentar, aber es ist leider allzuhäufig zumindest erlebte Realität. Die inklusive Sozialstaats-Kultur Europas ist gefährdet, wenn von den Anspruchsnehmern auf diejenigen gespuckt wird, die die Ansprüche realisieren. Wenn also Migrantenfamilien in Hartz IV alljährlich für jedes neue Kind eine vollständige Baby-Erstausstattung beantragen, die letzte hätten sie verschenkt. Dann ballt sich den Mitarbeitern in den Arbeitsagenturen in der Tasche die Faust, sie erzählen solche Geschichten herum, wie sie es auch vor zwanzig oder dreißig Jahren erzählt haben, damals über deutsche Arme, die ihnen „asozial“ vorkamen. Sie aber musste man hinnehmen, diese Armutsfamilien über Generationen, sie waren schon da. Wenn aber die Chance besteht, die Erweiterung des Kreises von Menschen mit Trittbrettfahrer-Willen via Zuwanderung zu begrenzen, dann werden auch gutwillige Liberale und selbst Linke verständlicherweise schwach, die Widerstandskraft gegen die Neue Rechte Welle sinkt. Die realen Probleme müssen daher gelöst werden, nachhaltig ist eine Gesellschaft im Sozialen nur, wenn jede neue Generation am Wohl der Gesellschaft interessiert ist, sie weiterentwickeln will, aber nicht nur ausnutzt oder gar bekämpft. Migranten sind willkommen, wenn sie an der Gesellschaft mitwirken, dann werden sie vom Gast zur Bürgerin und zum Bürger und dafür müssen beide Seiten etwas tun, realistischerweise aber diejenigen mehr, die dazu kommen wollen. Das ist nicht neu, ich bin selbst ein Kind von Vertriebenen, die protestantischen Schwaben machten es den Katholiken aus dem Osten nicht immer leicht. Die meisten Migrantinnen und Migranten geben sich Mühe bis zur Selbstverleugnung. Wer aber dazu kommt und nur Ansprüche stellen will, ohne zu geben, der sollte dann auch wieder gehen, das ist nicht Fremdenfeindlichkeit, sondern Realismus. Nur dann haben auch die eine gute Chance, die gekommen sind, um zu bleiben und so zu geben und zu nehmen, wie es die tun, die schon lange hier sind.