15 Jahre Netzwerk Grundeinkommen – Blick zurück nach vorn

Michael Opielka – 1. Juli 2019

Am 9. Juli 2004 wurde in Berlin das Netzwerk Grundeinkommen gegründet. Ich war einer der Gründer. Die Gründung war kein Spontanakt. Wir haben sie vorbereitet. Ich hatte Katja Kipping, damals Landtagsabgeordnete der LINKEN, und Birgit Zenker, damals Bundesvorsitzende der KAB, der Katholischen Arbetnehmerbewegung, gefragt, ob sie mitmachen wollen. Zwei K-Gruppen, so dachte ich, gleichen sich aus, so dass am Ende ihr ethischer Impuls zählt und weder der DDR-Geruch noch der patriarchale Muff des Katholizismus. Ich fand beide sympathisch und verlässlich, ohne das geht Politik nie gut, aber die Gründung war auch eine Verzweiflungstat. Schon 18 Jahre vorher, im Jahr 1986, wurde das damals „Basic Income European Network“ genannte BIEN gegründet (später wurde „Earth“ aus „European“), ich war als Jungspund dabei, durfte sogar einen der Plenarvorträge halten, weil ich irgendwie als ein deutscher Protagonist der Debatte galt. In den Jahren danach wollte ich, wie das in anderen Ländern gelang, auch eine deutsche Gruppe von BIEN gründen. Aber niemand war interessiert.

Dann, zum Unglück der ärmeren Deutschen und der deutschen Kultur und zum Glück für die Idee des Grundeinkommens, verabschiedete Rot-Grün die „Agenda 2010“ und führte Hartz4 ein. Endlich erwachte in Deutschland sozialpolitisches Bewusstsein, die Medienbeiträge explodierten gegenüber früher und nun gelang die deutsche Gründung. Am Tag der Gründung, ein heißer Julitag, beschloss der Bundesrat die Gesetze, die eine Woche zuvor den Bundestag passierten, auf der Straße protestierten Menschen dagegen, wir waren nicht mehr allein eine akademische Angelegenheit.

Am Anfang gehörte ich dem Sprecherkreis an, aber dann fuhr ich im Jahr darauf als Gastwissenschaftler an die Universität Berkeley, die Entfernung machte die Koordination schwerer, aber auch die Stimmung im Sprecherkreis wurde plötzlich giftig, Parteipolitik zog ein, es ist lange her, also trat ich zurück, ohne Grimm, aber meine Art, die „K“s zusammenzuhalten, die Brücke zwischen BefürworterInnen des Grundeinkommens aus unterschiedlichen Denktraditionen zu schlagen, war eine Weile lang nicht gefragt. Später scheint sich das im Netzwerk geändert zu haben, ich verfolge es genau, bin aber nicht mehr aktiv, selbst im Wissenschaftlichen Beirat bin ich eher ein Phantom. Dennoch, das Thema Grundeinkommen lässt mich natürlich nicht los. Seit Ende 2018 leite ich die Wissenschaftliche Koordination und Begleitung des Zukunftslabors Schleswig-Holstein (www.ZLabSH.de), da geht es ganz zentral um das Grundeinkommen als eine, vielleicht sogar die wichtigste sozialpolitische Reformidee für die Zukunft des Wohlfahrtsstaates. Der Netzwerkrat hat mich daher, so nehme ich an, aus einer Mischung aus Nostalgie und Zukunftshoffnung gebeten, auf zwei Fragen zu antworten, was ich nun gerne mache.

Die 1. Frage

Wie bewertest du die Entwicklung der Grundeinkommensdebatte in Deutschland seit Gründung des Netzwerks Grundeinkommen im Jahr 2004?

Drei Jahre nach Gründung von BIEN im Jahr 1986 kam die Deutsche Einheit und in den 1990er Jahren war die deutsche Diskussion zum Grundeinkommen aus der Öffentlichkeit verschwunden. Dass sich das ab 2003/4 änderte „verdankt“ sich vor allem der rot-grünen Fehlentscheidung für Hartz4, die die SPD dezimierte und die Grünen für viele Jahre zum Anhängsel der Mächtigen machte. Ohne die Referenz Hartz4, also den Backlash zum Fürsorge-Prinzip statt der historisch gebotenen Weiterentwicklung der Sozialpolitik in Richtung Dekommodifizierung, also Grundrecht auf Existenz auch ohne Arbeitsmarktteilnahme, wäre die Grundeinkommensdebatte in Deutschland seitdem eine andere gewesen. Götz Werner, ein wichtiger Protagonist in der Debatte seitdem, hätte seine Kritik von Hartz4 als „offenen Strafvollzug“ ohne Hartz4 nie so verständlich und drastisch platzieren können. Und wer sich die Initiative „Mein Grundeinkommen“ (www.mein-grundeinkommen.de) anschaut, nicht unwesentlich gefördert von Götz Werner, beispielsweise das eindrucksvolle Reportagebuch über die Gewinner ihrer Lotterie („Was würdest du tun?“, 2019), der liest bedrückende Beispiele über den Druck den Hartz4 in die Gesellschaft geschleudert hat und immer mehr Menschen ins Prekariat trieb.

Trotz immer breiterem gesellschaftlichen Interesse an einem Grundeinkommen, alle Umfragen signalisieren eine leichte bis eindeutige Mehrheit der Befragten in Deutschland für ein Grundeinkommen, tun sich die Eliten verflucht schwer. Zwei Beispiele: 2006 verfasste ich mit Katja Kipping und Bodo Ramelow einen Aufsatz für das Grundeinkommen („„Sind wir hier bei ‚Wünsch dir was?’“. Thesen für einen neuen Sozialstaat“). Doch seit Bodo Ministerpräsident in Thüringen ist, spricht er nicht mehr darüber. Anders übrigens als sein Vor-Vorgänger Dieter Althaus, der die CDU verwirrte, indem er ein Grundeinkommen als (wenn auch recht niedriges) „Solidarisches Bürgergeld“ vorschlug. Ein Vorschlag, den ich mit Wolfgang Strengmann-Kuhn und Bruno Kaltenborn im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung auf seine Finanzierbarkeit berechnete (und dabei veränderte). Althaus verließ die Politik und Ramelow verließ die Idee. Das zweite Beispiel: Im Januar 2013 lud Arfst Wagner, damals Bundestagsabgeordneter der Grünen, zu einem Grundeinkommens-Empfang in der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin ein. Ich hatte die Ehre, zur Einführung ein paar Worte zu sprechen. Katja Kipping war auch da, und noch einzelne Abgeordnete aus fast allen Fraktionen, aber keine Prominenz, kein Vorstand. Die Eliten halten sich bedeckt. Selbst Robert Habeck, der sich noch als Schleswig-Holsteinischer Minister für das Grundeinkommen aussprach, spricht seit seiner Erhebung zum grünen Vorsitzenden nur noch von „Garantiesicherung“, einem Grundeinkommen im Light-Format. Ohne Elitenwillen nützt der Volkswille nichts. Die Eliten halten das System auf Kurs, auch wenn er falsch ist.

Und die 2. Frage

Was ist aus deiner Sicht notwendig, um die Debatte in Deutschland über das Grundeinkommen und um die Einführung des Grundeinkommens zu befördern? 

Es braucht ein Bündnis von Eliten und Volk, von MeinungsträgerInnen und Bevölkerung, damit das Grundeinkommen eine Chance besitzt. Auf ganz verschiedenen Posten kann und muss für ein Grundeinkommen gekämpft werden, in Schulen und Hochschulen, in alten und neuen Medien, in den Parteien und NGOs, in Familien und Freundeskreisen und natürlich in der Wissenschaft. Ich bin von meinem Temperament her eher Wissenschaftler, Wahrheitssucher, und so gehe ich auch an das Grundeinkommen heran. Natürlich habe ich immer wieder Zweifel, ob es wirklich finanzierbar wäre, wenn es nicht zu karg ausgestattet ist, ob MigrantInnen es gleich bekommen sollen oder erst nach einiger Zeit, wie es überhaupt am besten organisiert werden könnte und so weiter. Auf diese Zweifel braucht es gute Antworten. Die Eliten brauchen gute Argumente und die Bürgerinnen und Bürger, die nicht nur ideologisch oder fundamentaloppositionell denken, auch. Wenn ich ehrlich bin: wäre ich morgen oder übermorgen Sozialminister, dann hätte ich keine Blaupause für das Grundeinkommen, die einigermaßen durchgerechnet ist und die von links bis konservativ akzeptabel erscheint. Hier wird das Zukunftslabor helfen, da bin ich sicher. Im nächsten Jahr wissen wir mehr und vielleicht erleben wir dann auch eine Überraschung in Sachen Einführung. Das Glas ist mindestens halb voll.

Prof. Dr. Michael Opielka ist Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer des ISÖ – Institut für Sozialökologe in Siegburg und Professor für Sozialpolitik an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Fachbereich Sozialwesen.

Hier finden Sie den redaktionell leicht bearbeiteten Beitrag auf der Seite des deutschen Netzwerk Grundeinkommen:
https://www.grundeinkommen.de/11/07/2019/michael-opielka-das-glas-ist-mindestens-halbvoll.html