Phönix an der Asche – Grundeinkommen im Fernsehen
Am 27. Juni 2017 wurde im Fernsehsender phoenix eine „phoenix-Runde“ zum Thema „1000 Euro für jeden – Wie sinnvoll ist das Grundeinkommen?“ gesendet. Sie kann noch eine Zeitlang in der Mediathek des Senders angesehen werden: https://www.phoenix.de/content/2460954 – sicher keine argumentative Sternstunde der Grundeinkommensdiskussion, vielleicht sogar eine der schlechtesten, unangenehmsten Diskussionen zu diesem Thema, die ich erlebt habe. Dabei reiste ich in guter Hoffnung nach Berlin. Der frühere Vorstand der Bundesagentur für Arbeit und SPD-Politiker Heinrich Alt war angekündigt worden, ein vehementer Grundeinkommens-Gegner, aber immerhin mit Sachkenntnis von Arbeitsmarkt und Hartz IV. Zudem eine Redakteurin der Süddeutschen und Daniel Häni, einer der Initiatioren der Volksabstimmung zum Grundeinkommen in der Schweiz im Juni 2016. Doch im Studio war die Überraschung groß, Heinrich Alt hatte abgesagt, an seine Stelle trat Anke Hassel, die Wissenschaftliche Leiterin des WSI der Hans-Böckler-Stiftung der Gewerkschaften. Da ahnte ich: es wird nicht leicht, hat sie doch vor einigen Monaten in der Süddeutschen unter dem Titel „Süßes Gift“ eine Tirade gegen das Grundeinkommen abgefeuert. Und statt der Redakteurin der Süddeutschen tauchte mit Ulrike Herrmann eine taz-Redakteurin auf, die von Abgewogenheit nicht so viel hält, wie sie mit einem Beitrag zum finnischen Grundeinkommens-Modellversuch belegte. So nahm die Runde ihren Lauf. Die Moderatorin Anke Plättner gab sich wirklich Mühe. Aber wie soll man diskutieren, wenn ein Teil der DiskutantInnen schlicht argumentfrei argumentiert? Am Ende war ich wirklich geschafft und nicht zufrieden. So jedenfalls geht Diskurs nicht. Aber wie dann? Ein Blog kann die Diskussion nicht ersetzen, aber ein wenig kleinen Raum zum Nach-Denken anbieten.
Zunächst ein Wort zu Daniel Häni. Er veröffentlichte jüngst ein „Manifest zum Grundeinkommen“ unter dem schönen Titel: „Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?“ Sein Auftritt war klar. An Sozialpolitik, am Wohlfahrtsstaat ist er nicht interessiert, es gibt ihn, das ist gut, aber darüber nachdenken ist nicht sein Beritt. Was er will ist Macht, Ermächtigung für alle, das referendumsdemokratische Prinzip der Schweiz soll auch auf eines der beiden Kernfelder des Kapitalismus ausgeweitet werden, auf den Arbeitsmarkt. Arbeitnehmer sollen Nein sagen können. Das andere Feld, Privateigentum, Profite und Ungleichheiten interessiert ihn weniger. So wirkt sein durchaus herzerfüllender Auftritt merkwürdig wirtschaftsliberal. Die beiden Diskutantinnen hätten das angreifen können. Doch sie taten es nicht. Sie interessierten sich schlicht nicht für die Idee des Grundeinkommens.
Die beiden konzentrierten sich vor allem auf dessen Finanzierung, Anke Hassel zusätzlich noch auf Arbeitsmarkteffekte. Leider begann beider Kritik auf dem Niveau eines Stammtisches: 1000 Euro im Monat mal 82 Millionen Deutsche mal 12 Monate, also kostet das Grundeinkommen eine Billion Euro. Wer soll das bezahlen, wenn der Bundeshaushalt 2017 nur 329 Milliarden Euro umfasst? Die Gegenfrage musste lauten: wer fordert denn so etwas? Ich stellte sie, aber von da ab befanden wir uns auf rutschigem Boden. Denn es stellte sich heraus, dass es den beiden Grundeinkommensgegnerinnen nicht um eine wissenschaftlich gestützte politische Diskussion ging, sondern um eine Meinungsrunde. Der eine meint was. Die andere auch. Aber leider fehlte hier der Alkohol, der vage Diskussionen in wohligen Nebel einzuhüllen vermag. Andererseits: auch ich muss mich an die Nase fassen. Denn auf die Finanzierungsfrage war ich schlicht nicht vorbereitet. Vor gut zehn Jahren hatte ich mit Wolfgang Strengmann-Kuhn und Bruno Kaltenborn ein Finanzierungsgutachten zum Grundeinkommensmodell des damaligen CDU-Ministerpräsidenten von Thüringen, Dieter Althaus erstellt, das auch vom Sachverständigenrat gründlich diskutiert wurde. Über die Kosten des Grundeinkommens lässt sich nur ernsthaft diskutieren, wenn man weiß, über welches Modell man spricht – ähnlich übrigens auch, wenn wir über die Kosten eines „Autos“ sprechen oder eines „Hauses“ oder eines „Rentensystems“ oder „Gesundheitssystems“. Das hätte ich sagen müssen oder vielleicht sogar eine vorbereitete Kostengraphik aus der Jacket-Tasche ziehen, alle überraschen und damit zum Schweigen bringen. Natürlich ist ein Grundeinkommenssystem finanzierbar, wenn wir es so anlegen, dass die vorhandenen Geldflüsse darin integriert werden. Vor noch etwas mehr Jahren habe ich deshalb die Idee einer „Grundeinkommensversicherung“ entwickelt und ihre Kosten überschlägig kalkuliert. Die Staatsquote in Deutschland ist seit Jahren gestiegen, 2016 lag sie, die Ausgaben der Gebietskörperschaften und der Sozialversicherungen kombiniert, bei 44,3% des BIP. In absoluten Zahlen waren das 1.387,8 Milliarden Euro. Um sich bei diesen Zahlen nicht zu verirren, muss man schon genau sagen, wie man ein Grundeinkommen will.
Anke Hassel brachte als Gewerkschaftswissenschaftlerin ein auf den ersten Blick starkes Argument ins Spiel: Wenn es ein Grundeinkommen gäbe, dann würden die Arbeitgeber nur noch wenig Lohn zahlen wollen, denn die Arbeitnehmer hätten ja schon etwas. Natürlich brachte ich in der Diskussion das Argument vor, dass wir es in Deutschland nicht mit einem Arbeitgebermarkt zu tun haben, Ulrike Herrmann warf später, freilich ohne die Argumente zu verknüpfen, noch ein, dass wir gar kein Grundeinkommen brauchen, weil künftig händeringend nach Arbeitern gesucht werde, ihr Beleg war, dass die Bayerische Staatsregierung neuerdings ihren LehrerInnen Teilzeitanträge ausschlage, weil Lehrer fehlen. Nun zählen Lehrer nicht zu den grundeinkommensnahen Gruppen, aber dennoch: könnte es nicht doch sein, dass gerade Menschen mit geringen oder nicht gefragten Qualifikationen nach einer Grundeinkommensreform die Dummen seien? Auch hier staunte ich zunehmend ohne genau nachzudenken und vor allem, ohne selbst die passenden Argumente zu finden. Die wären zum einen: das gibt es schon heute. Schon heute stocken knapp eine Million ArbeitnehmerInnen in Deutschland ihr Arbeitseinkommen um Hartz IV-Leistungen auf, davon gut die Hälfte Fachkräfte. Doch schon die aktuelle Lage ist nicht einfach zu bewerten, denn der Mindestlohn hilft nur Vollzeittätigen mit wenig Unterhaltspflichten – und noch unklarer ist, wie sich der Arbeitsmarkt im armutsnahen Bereich angesichts von digitalisierter Arbeit 4.0 entwickeln wird. Zu denken geben sollte schon, dass Anfang der 1990er Jahre zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland unbefristet in Vollzeit arbeiteten, derzeit jedoch nur noch etwas mehr als die Hälfte. Wenn Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB der Bundesagentur, diese Entwicklung nicht wirklich beunruhigend findet, weil die Zunahme von Teilzeit- und prekär Beschäftigten „mit einer verringerten Zahl von Nichterwerbstätigen und Arbeitslosen verbunden war“, dann kann man das auch so interpretieren und die Bedenken von Anke Hassel entkräften (leider fiel mir das in der Sendung nicht ein): Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer wurde durch Hartz IV nur insoweit geschwächt, als dass sie sich vor Sanktionen bei Nicht-Annahme unbeliebter Erwerbsarbeit fürchten, nicht jedoch durch die Arbeitgeber. Wenn also Menschen ohne Vermögen zur Existenzsicherung ihre Arbeitskraft anbieten müssen, dann wäre es gut, wenn sie frei darüber entscheiden können – und bei schlechten Möglichkeiten auch für ein bescheidenes Leben.
Das aber genau erschien Anke Hassel wie Ulrike Herrmann ein ganz unzulässiger Gedanke: wie kann man denn auf Hartz IV-Niveau – und wesentlich höher wird ein Grundeinkommen nie sein – von Freiheit sprechen? Ich dachte an meine Studierenden in Jena, sie sind zwischen 20 und 40, manche älter, und bei allen Befragungen zeigt sich, dass mehr als 90% von ihnen teils deutlich unter dem heutigen Niveau der Grundsicherung leben, samt Zuverdiensten, für die sie die Zeit am Studium abknapsen. Professoren und nationale Journalisten leben auf anderem Niveau, nicht wenige von ihnen haben keine Idee, dass auch Menschen mit wenig Geld viel Würde wollen. Die Diskussion war gelaufen und ich hoffte auf die nächste. Da wird alles anders. Ich lasse mich nicht mehr ärgern und ärgere niemanden.