Und dann und wann ein rosa Elefant – Martin Suter und die Gentechnik

Michael Opielka – 2. Februar 2017

Das Schöne an der Kunst ist, dass sie schön ist. Jedenfalls dann, wenn sie gut ist. Wann ist Literatur gut? Wenn es die Kritiker so sehen. Deshalb hatte es Martin Suter nicht leicht, der Rokoko-Schweizer und frühere Werbetexter. Dass die Leute seine Leser werden und ihn gut finden, hilft, aber genügt dem Künstler nicht. Er braucht seinesgleichen, die Peer-Review, die Gemeinschaft der Kunst. Oder zumindest die Kritiker, die nicht selten gut schreiben, also fast Künstler sind. Umso schöner, dass Suters neues Buch „Elefant“ zumindest bei einigen, jedenfalls den für Ästheten relevanten Kritikern gut ankam, wie in der FAZ http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/neuer-roman-elefant-von-autor-martin-suter-14754992.html, in der Rose-Maria Gropp die pfiffige Geschichte gleich nacherzählt, oder in der NZZ https://www.nzz.ch/feuilleton/martin-suter-und-sein-neuer-roman-die-literarische-antithese-ld.139900, wo Roman Bucheli, den man immer schätzen muss, seinen Landsmann mit Gottfried Keller berührt. Soweit zur Kultur, doch sie wäre kein Grund, warum es ein rosa Elefant in den Blog eines sozialökologischen Forschungsinstituts schafft.

Der Grund ist die Gentechnik, einerseits, aber ein wenig auch die feine soziale Beobachtung zwischen den unteren und den oberen Rängen der gesellschaftlichen Ungleichheitswelt, die Suter in seinen Roman einspannt, der mir so schnell nach Erscheinen auf dem Tisch landete. Wer hat es denn nicht gerne rosarot. Andererseits ist die rosarote Brille auch berüchtigt, man denkt sich die Welt, wie man sie gerne hätte. Die moderne Genforschung und ihre Anwendung machen genau das. Sie denken sich die Welt auch rosarot und während ich den Roman in zwei Nächten las, erschien in der FAZ der passende Bericht zwar nicht zum Elefantenmenschen (sein Darsteller John Hurt war gerade gestorben), sondern zum Menschen im Schwein http://www.faz.net/aktuell/wissen/mensch-tier-schimaere-14769474.html. Da sind die ethischen Dilemmata noch gewaltiger, man befürchtet kluge Schweine und dürfe man die dann noch schlachten, aber man könnte auch schweinische Menschen befürchten, freilich wären sie auch nichts ganz Neues. Suters Geschichte des verkümmerten rosaroten Elefanten im Spielzeugformat, der im Dunkeln leuchtet, weil ihm sein Mit-Schöpfer, ein charakterarmer Gentechnologe, vorgeburtlich in die Eizellen eine Kombination aus Luziferin, wie bei den Glühwürmchen, und Mandrillaaffenpigment, das macht das Rosarote, integriert. Es hat auch fast geklappt, doch der in einem Schweizer Zirkus gezeugte Elefant blieb mikrozephal zwergwüchsig und hatte daher nicht lange zu leben. Der Genforscher hat chinesische Geschäftspartner, die mit Klonen und Sequenzieren mächtig im Geschäft sind. So nimmt die Geschichte ihren Lauf. Das klingt alles phantastisch, ist es aber nicht. Im Nachwort dankt Suter seinem weiteren Landsmann Mathias Jucker, der als Zellbiologe das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen leitet und ihn auf die Fährte mit dem rosaroten Elefanten brachte. Da schwindelte mir schon etwas der Kopf, denn vor dem zweiten Leseblock hatte ich in der FAZ vom gleichen Tag einen ganzseitigen Vortrag eben dieses Kollegen Jucker gelesen: „Warum wir Alzheimer immer noch nicht heilen können“.

Das Besondere an Suters Roman ist dann der sozialökologische Blick, man könnte auch sagen: sein implizites Normativ Sozialer Nachhaltigkeit. Die Räuberpistole um den kleinen genmanipulierten Elefanten ist das eine, das andere aber ist der Blick in die Gesellschaft. Sein Protagonist, der Elefantenfinder, ist ein Obdachloser, der seit 10 Jahren in einem Erdloch an der Limmat haust. Um sich herum das unterste Geschoss der Schweizer Gesellschaft: Obdachlose, Junkies, Hündeler, Alkoholiker, wie er selbst. Aber alles ist geordnet. Auch sie bekommen Geld, im Jahr 2014 waren das immerhin 986 Franken im Monat, plus Wohnkosten und Gesundheitshilfe (nichts jedoch für die Hunde, wie ein rechter Stadtrat befürchtete: http://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/13811079). Der Schweizer Sozialstaat lindert die materielle Not, die innere Not freilich, das Ausgleiten aus dem gesicherten Leben, das bleibt auch da, Clochards im reichen Land, wie einer schrieb: http://www.swissinfo.ch/ger/wirtschaft/armut-in-der-schweiz_das-leben-als-clochard-in-einem-reichen-land/41049192. Suter hat sich kundig gemacht. Am Ende flog sein Protagonist, der, wie sich dann zeigt, vor seinem Erdloch Investmentbanker war, für gut 200.000 Franken per VIP-Flug nach Myanmar, man liest in Suters Gedanken, der das Überfliegende aus eigenem Leben kannte, die Verwunderung über das, was sich die Reichen leisten können: für sie gibt es keinen Zoll, keine Warteschlangen. Natürlich auch eine Liebesgeschichte, die diesmal gut ausgeht.

Und eine schöne Botschaft an das Leben, das auch als manipuliertes Leben Leben ist. Suter bleibt in der Sicht des Erzählers, er analysiert nicht, doch unsereiner kann das nicht bleiben lassen. Wir denken darüber nach, was eine Geistestradition wie der Buddhismus zum Klonen meint, die doch das Irdische, das körperlich Materielle gering zu schätzen scheint. Aber auch der Buddhismus ist klug und plural: während sich Deutsche Buddhisten wie die katholische Kirche der Gentechnologie abneigen (https://www.buddhismuskunde.uni-hamburg.de/pdf/4-publikationen/buddhismus-in-geschichte-und-gegenwart/bd10-k09schlieter.pdf), mit guten Gründen, hatte der damals noch Nationale und heute Deutsche Ethikrat bereits 2004 die Weltreligionen zum Austausch über die Ethik des Vorgeburtlichen eingeladen, aus buddhistischer Sicht, so hieß es dort, „würde durch reproduktives Klonen auch kein göttliches Privileg verletzt“ (http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/infobrief-02-04.pdf). Wir schauen also am besten genau hin. Wie schon Rilke, als er im Jardin du Luxembourg „Das Karussell“ beobachtete. Der Elefant damals war weiß.