Wohin mit dem vielen Geld? Über die fehlende grüne Richtung der Post-Corona-Ausgaben
Hunderte von Milliarden Euro, weltweit sind es Billionen, werden von den Regierungen in Deutschland und Europa mobilisiert und als Schuldendienst an die kommende Generation delegiert. Die Corona-Pandemie setzt einen in die Defensive geratenen, sozialdemokratischen Keynesianismus auf die Tagesordnung. Natürlich passen Liberale und Konservative auf, dass die Früchte der Schulden auch ihren Lobbyinteressen zufallen und wer genauer hinschaut, sieht ihren Erfolg. Was aber wäre „richtig“? Gibt es das aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt? Wenn Wissenschaft Politik sinnvoll beraten will, dann erkennt sie schnell: Es braucht ein klares Narrativ für eine klare und notwendig komplexe Idee. In der ZEIT legt Bernd Ulrich die Hand in die grüne Wunde: https://twitter.com/MichaelOpielka/status/1267588100232011777 Schauen wir uns diese Wunde genauer an.
Seit es die Grünen gibt, arbeiten sie sich – leider meist unbewusst, trotz millionenschwerer Parteistiftung – an der Frage ob, ob sie den neuzeitlichen drei Großtheorien Liberalismus, Konservatismus und Sozialismus (Sozialdemokratie) etwas Eigenständiges entgegensetzen können oder ob sie unter die Fittiche einer der drei Großtheorien flüchten müssen (oder sie irgendwie mischen). In den ersten Jahrzehnten nach Gründung der Grünen war diese geistige Ortlosigkeit noch verständlich. Die ProtagonistInnen stammten aus den alten Großideen (nicht selten aus ihren jeweiligen extremen Zuspitzungen, wie den Zuspitzungen des Linken in KB und KBW oder den rechtskonservativen bis rechtsextremen Wurzeln der AUD). Doch 40 Jahre nach Gründung der Grünen müssten eigentlich vor allem die jüngeren Grünen ein Bedürfnis nach politischer Identität haben. Allerdings – so mein Eindruck – treibt ihnen ein guter Teil der „alten“ grünen Elite, die heute die Ministerposten und Fraktionsführungen besetzt, diesen Wunsch stetig aus: wir können nur konventionell denken, es gibt nichts Grünes „an sich“ usf.
Ist das wirklich so? Natürlich gibt es eine eigenständige, vierte Großtheorie. Sie resultiert aus der Gattungsfrage, wird üblicherweise als Ökologie bezeichnet, heute als Nachhaltigkeit und im Konzert der drei politischen Philosophien als „Garantismus“: ihr Zentrum sind Menschenrechte, ein ganzheitlicher, systemischer Blick und der kommunitaristische Fokus auf Gemeinschaft. „Wirtschaftspolitik“ ist in einer garantistischen Perspektive nur als Gesellschaftspolitik sinnvoll, muss also zuallermindestens systematisch mit Sozialpolitik verknüpft werden. Hier sind die Grünen über Ökoliberalismus und begrünte Sozialdemokratie nur wenig hinausgelangt. Das für den Garantismus zentrale Thema „Grundeinkommen“ zerreißt die Grünen noch immer, weil vor allem die Eliten aus dem alten Dreierdenken kommen, Sie erfassen geistig nicht, dass im 21. Jahrhundert der umfassenden Globalisierung auch die Sozial- und Politikformen transformiert werden müssen.
Die Realität ist immer eine Bastelwelt, inkrementalistisch, step-by-step. Doch es geht um die Richtung, in die wir basteln. Chinas KP hat da eine Idee, auch Trumps Republikaner haben eine, ebenso Putins Russland und Assads Syrien. Zu einem Auschwitz heilenden Deutschland gehört eine andere Richtung. Europa ringt darum. Der Beitrag der Grünen muss in diesem Ringen der sein, dem Zeitgeist von Ökologie/Nachhaltigkeit und Garantismus gegen die Widerstände der alten Mächte Gehör und Realität zu verschaffen. Man kann das „Soziale Nachhaltigkeit“ nennen.