Veröffentlichung

Grünen-Mitbegründer Opielka über Anfänge, Errungenschaften und Defizite (13.1.2020)

Grünen-Mitbegründer Opielka über Anfänge, Errungenschaften und Defizite (13.1.2020)

In einem Interview des SWR (Südwestrundfunk) zu 40 Jahre Gründungskongress der Grünen in Karlsruhe im Jahr 1980 berichtet Prof. Dr. Michael Opielka von seinen persönlichen Eindrücken jener Veranstaltung und jener Zeit: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/40-Jahre-Gruendungskongress-der-Gruenen-in-Karlsruhe-Gruenen-Mitbegruender-Opielka-ueber-Anfaenge-Errungenschaften,40-jahre-gruene-interview-michael-opielka-100.html

Ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei – so wollten die Grünen immer sein. Bei der Gründung vor 40 Jahren in Karlsruhe ging es auch deshalb teilweise chaotisch zu, so Sozialwissenschaftler Michael Opielka im Interview. Michael Opielka hat in den 1980er-Jahren in Tübingen studiert und war beim Grünen-Parteitag in Karlsruhe als Delegierter seines Kreisverbandes dabei. Der Sozialwissenschaftler hat bis 1987 für die Landes- und Bundesgrünen gearbeitet, bevor er in die Wissenschaft wechselte. Heute ist er Wissenschaftlicher Leiter des ISÖ – Institut für Sozialökologie in Siegburg, Professor für Sozialpolitik an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena und seit nun über 40 Jahren Mitglied der Grünen.

SWR: Vor 40 Jahren begann die Geschichte der Bundesgrünen in Karlsruhe und Sie waren mit dabei. Der Michael Opielka von damals, was war das für ein Typ?

Michael Opielka: Naja, der war 40 Jahre jünger. Ich bin jetzt 63. Damals war ich 23. Ich war Student und Kreisgeschäftsführer der Grünen in Tübingen, war politisch aktiv, war Vorsitzender des Stadtjugendrings und in der Katholischen Jungen Gemeinde, war bei den kritischen Juristen aktiv, war ehrenamtlich aktiv. Das traf auf viele der Damaligen zu, dass sie im gesellschaftlichen Umfeld aktiv waren. Die Grünen sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern waren, wenn man so will, der parlamentarische Arm der außerparlamentarischen Bewegungen – so war die Idee.

Sie waren auf dem Bundesparteitag Teil der Baden-Württemberg-Delegation. Wer war da noch so alles dabei aus dem Land?

Wolf-Dieter Hasenclever war dabei. Der war damals der erste Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg. Es waren auch Linke dabei. Da muss ich an Uli Tost denken: Er war ein Sprecher der Landesastenkonferenz. Bei ihm habe ich dann sogar übernachtet, weil ich ja aus Tübingen kam. Es gab Personen aus der linken Studentenszene, der linken undogmatischen Szene. Aus Baden-Württemberg war natürlich noch Winfried Kretschmann dabei. Er war auch eines der Mitglieder der ersten grünen Landtagsfraktion, mit der ich ja auch zu tun hatte. Und Fritz Kuhn fällt mir noch ein. Mit ihm wohnte ich damals in Tübingen zusammen. Wir hatten gemeinsam eine Zweier-Wohngemeinschaft. Der ist ja jetzt noch grüner Oberbürgermeister in Stuttgart und war Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. Er war auch Teil der Delegation.

Was bei Journalisten von damals vor allem ankam, war viel Chaos. Haben Sie das als Teilnehmer auch so erlebt?

In einem Punkt gab es Chaos und zwar auf der Ebene der sogenannten Indianerkommune. Die war offensichtlich ein Kreis von Pädophilen, der Jugendliche für seine Zwecke auch politisierte. Da gab es einige Personen, die sich bei den Grünen reingedrängt haben. Dem konnte ich nichts abgewinnen. Ich hielt es damals schon für einen absoluten Missbrauch von Kindern. Das war sehr unangenehm, weil die Leute sehr, sehr auffällig waren. Sie haben versucht, das (= den Gründungsparteitag, Anm. der Red.) zu kapern, was ihnen nicht gelungen ist. Die Grünen haben Schwierigkeiten gehabt, die Polizei zu rufen oder Ordnungsdienste zu holen, denn es sollte ja basisdemokratisch und gewaltfrei zugehen. Und wenn sich dann solche sehr aggressiven Gruppen hineingedrängt haben, dann machte das natürlich ein chaotisches Empfinden. Aber das hat dem Grundtenor der Veranstaltung nicht geschadet: Herbert Gruhl, früherer CDU-Bundestagsabgeordneter und einer der Hauptredner, gehörte zu den Gründungsimpulsgebern der Grünen. Es war ein sehr breites Spektrum: Es gab auch Linksradikale, frühere Personen des Kommunistischen Bundes. Kretschmann war ja davor Mitglied des Kommunistischen Bundes Westdeutschland. Also wir hatten linke und rechte Personen, und bis das alles zusammenfand, bis man auf etwas Gemeinsames kommen konnte – das erforderte schon eine kluge Parteitagsregie. Und es dauerte auch seine Zeit, bis es zu einer gewissen Konsensbildung kam. Aber Politik und Konflikt waren für uns kein Widerspruch.

Sie haben es gerade schon angesprochen. Was man sich heute gar nicht mehr so richtig vorstellen kann: Es waren eben auch rechte, nationalistische Strömungen vertreten. Also Leute, die vor allem die deutsche Natur schützen wollten. Wie sind die damals aufgetreten?

Es gab Gruppen wie die um Baldur Springmann: Er war einer der berühmtesten, bekanntesten. Es gab einen nationalistischen Aspekt, der ja heute auch bei der AfD seine Urstände feiert. So einen postfaschistoiden Geruch gab es in der deutschen Gesellschaft immer: so ein rechtes Umfeld, das „Blut und Boden“ und rassistische Ideen für gut hielt, das dem Biologismus huldigte. Solche Personengruppen waren in Deutschland immer präsent. Und die versuchten natürlich, bei den Grünen Fuß zu fassen. Aber wie die Indianerkommune waren sie völlig erfolglos. Diese Personen waren in der absoluten Minderheit und fanden auch überhaupt keine Resonanz bei den Grünen.

Der junge Michael Opielka, 1979 in Paris, zu Zeiten der Gründung der Grünen. 

Ein Punkt, für den die Grünen heute besonders bekannt sind, ist, dass sie es auch geschafft haben, Frauen eine starke Stimme zu geben, indem sie mit Doppelspitzen arbeiten und darauf gucken, dass Frauen auch in den Parlamenten möglichst gleichberechtigt vertreten sind. Wenn man sich die Bilder von damals anguckt, dann sieht man zwar auch Frauen, aber geredet haben dann meistens doch die Männer. Wie haben Sie das damals empfunden?

Das war damals so üblich. Sehen Sie, als ich 1983 zu meiner ersten Veranstaltung im Bundestag war, einer Sitzung der Rentenkommission, saßen da nur Männer und eine einzige Frau vom Landfrauenverband. So etwas kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Das gesellschaftliche Bild war damals noch sehr männerzentriert. In der Öffentlichkeit tauchten Frauen als potente oder kompetente Persönlichkeiten überhaupt nicht auf. Man muss die Grünen im Kontext des Damaligen messen: Sie hatten schon das Bemühen um Gleichstellung, aber sie waren natürlich kulturell an die damalige Zeit gebunden. Und da herauszukommen, ist sowohl für den einzelnen Mann wie für die einzelne Frau ein echter Kampf.

Können Sie an Ihre Ziele von damals denken und dann auf das Heute gucken? Was haben die Grünen in den letzten 40 Jahren erreicht? Und was fehlt noch?

Ich denke, sie haben vor allem zwei Dinge erreicht. Das erste ist, sie haben kulturell massiv dazu beigetragen, Authentizität im politischen Raum möglich zu machen, und zwar auf der Geschlechter- und Diversitätsachse, also dass Frauen einen klaren Platz im öffentlichen Raum einnehmen, dass so etwas wie Homosexualität, sexuelle Differenz auch öffentlich Thema wird. Das spielt eine ganz zentrale Rolle. Man hat sich natürlich darüber lustig gemacht, dass man auf Parteitagen stricken würde oder dass Kinder herumlaufen. Aber das war Teil einer Programmatik der Subjektivität. Und diese Präsenz des Subjektiven – mit all ihren Risiken – ist auch eine große Leistung, weil davor sozusagen die Welt der grauen Männer da war. Graue Männer haben die Welt dominiert, wie auch heute noch in vielen Bereichen – machen wir uns da nichts vor. Der zweite Punkt ist natürlich Nachhaltigkeit: das ganze Themenfeld systematisch von Anfang an zu verfolgen, von Anti-AKW-Protesten, über Biodiversität, bis hin zur globalen Dimension der Nachhaltigkeit. Also in diesen beiden Bereichen Subjektivierung und Nachhaltigkeit sehe ich den größten Beitrag der Grünen. Wo ich die Grünen wenig erfolgreich sehe, ist in meinem eigenen Politikfeld. In der Sozialpolitik haben die Grünen durch diese beiden Achsen vielleicht indirekt gewirkt, aber das ist von Anfang an und bis heute ein großes Problem gewesen. Das Thema Grundeinkommen etwa, das die Grünen ja eigentlich vertreten müssten, spaltet die Partei. Bei Gerechtigkeitsthemen im weitesten Sinn stehen die Grünen zwar intuitiv auf einer guten Seite, aber die konkrete, programmatische, politische Umsetzung fällt ihnen noch immer ziemlich schwer.