Traum und Gedanke

Michael Opielka – 10. Juni 2017

Welche Bedeutung hat Lyrik in Deutschland? Noch die Großeltern erinnerten Schillers Glocke vollständig. Die Reimlosigkeit der meisten modernen Gedichte macht die Erinnerung nicht leicht. Doch das allein dürfte den schweren Stand der Poesie nicht erklären. Vielleicht, so meine Vermutung, ist es gerade das Persönliche der Lyrik, was ihre Rezeptionsprobleme erklärt, obwohl doch scheinbar das Persönliche heute so öffentlich, so politisch ist wie nie, wo Soziale Medien, von Facebook bis Instagramm, fast alles offenbaren. Lyrik als Kunstform bleibt natürlich nicht persönlich, der Inhalt verbindet sich mit Form, nur dann ist es Kunst und dann verwandelt sich auch der Inhalt. Das schreibe ich auch deshalb, weil ich gerade selbst wieder einen kleinen Lyrikband veröffentlichte, „Traum und Gedanke“ sein programmatischer Titel, der dritte Band, fast schon eine kleine Reihe. Darf man das, als Wissenschaftler, als Hochschullehrer? Ist das nicht eine Grenzüberschreitung? Eines der Gedichte („Rastende“) widmet sich einem Band des britischen Hofdichts Ted Hughes, den „Birtday Letters„, einer traurigen Bilanz seiner Ehe mit Sylvia Plath, Ikone der feministischen Literatur. Die deutsche Übersetzung von Andrea Paluch und Robert Habeck erschien 1998, vor fast 20 Jahren, Robert Habeck, der heutige grüne Politiker und Minister war damals vor allem Autor, Übersetzer, ich schrieb es so: „der Minister aus dem Norden / und seine Frau hatten ihn übersetzt / sie waren jung“. Wir schauen mit jenen Gedichten in Abgründe und, wenn sie schön sind, dann werden es die Abgründe zwar nicht, der Inhalt bleibt bitter, aber die Form hilft. Wie persönlich darf  es sein? In einem anderen Gedicht („Hier bin ich“) sagte ich es so: „Das zweite Leben / … / das es nie gab und doch / sagte Foer so gut / es handelt von meinem Leben“, Jonathan Safran Foer hat das in einem Interview zu seinem neuen Buch so gesagt und es gefiel mir gut. Wir handeln immer von unserem Leben, auch wenn wir über Anderes sprechen. Nicht, weil wir die Welt konstruieren, auch wenn wir es ein wenig tun, und nicht nur, weil die Welt uns konstruiert, auch wenn sie es ein wenig tut. Sondern weil wir uns mitnehmen, weil wir nur mit unseren Augen die Welt sehen können, mit unserem Denken verstehen können, in alle unsere Beobachtungen unser Leben mengen. Wir Wissenschaftler wollen das nicht so gerne wahrhaben. Wir wollen ja intersubjektive Vergleichbarkeit, am liebsten den reinen Gedanken. Und doch träumen wir alle, nicht nur nachts, nicht nur im Tagtraum. Unsere Zukunft kommt nicht nur auf uns zu, sie wird von uns auch vorausgeträumt, wir wünschen sie uns. Und manchmal gehen die Träume in Erfüllung.

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