Vortrag

Das Grundeinkommen im Garantismus als “vierter Weg” sozialpolitischer Steuerung (15.11.2018)

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Prof. Dr. Michael Opielka und Philipp Herbrich hielten auf dem Workshop “Lebensweise Grundeinkommen. Neues Schaffen durch anders (tätig) Sein?“ des DFG-Kollegs „Postwachstumsgesellschaften“, 15.-16. November 2018, einen Kurzvortrag zum Thema „Das Grundeinkommen im Garantismus als ‚vierter Weg‘ sozialpolitischer Steuerung. Zur Kompensation des disruptiven Potentials eines digitalisierten Arbeitsmarktes“. Er war in „Session II – Auf dem Weg zu neuen Konsum- und Produktionsverhältnissen jenseits und diesseits des Marktes?“ platziert.

Die Powerpoint zum Vortrag finden Sie hier: 2018-11-15 Opielka Herbrich Das Grundeinkommen im Garantismus und Digitalisierung V3 2018-11-15, Opielka, Herbrich, Das Grundeinkommen im Garantismus und Digitalisierung, Folien, 15.11.2018

Das Programm des Workshops finden Sie hier: Programm_Workshop Lebensweise Grundeinkommen

Prof. Opielka war krankheitsbedingt leider an der Workshop-Teilnahme verhindert, so dass Philipp Herbrich den Kurzvortrag hielt und diskutierte. Er fasste die Eindrücke von seiner ersten Teilnahme an einem internationalen Workshop in folgendem Text zusammen:

 

Workshop Lebensweise Grundeinkommen

In welcher Gesellschaft wollen wir künftig leben? Der Workshop zur „Lebensweise Grundeinkommen“ des Kollegs Postwachstumsgesellschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena am 15. und 16. November 2018 stand unter dieser gewichtigen Frage, die weder leicht noch einvernehmlich beantwortet werden kann. In einem interdisziplinären Diskurs wurde über die gesellschaftlichen Transformationspotentiale des bedingungslosen Grundeinkommens und über Möglichkeiten und Grenzen von Degrowth debattiert. Dies lässt bereits erahnen, dass sich am Ende der Veranstaltung wohl alle Teilnehmenden einig waren, dass mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet worden sind. Dies erscheint auch nicht verwunderlich, denn schnell wurde klar, dass es weder das Grundeinkommen noch die Effekte geben kann. In diesem Bericht sollen einige Eindrücke und Eckpunkte der Debatten des Workshops dargestellt werden.

Der Workshop gliederte sich in drei thematische Schwerpunkte, die das Grundeinkommen auf individueller, struktureller und – was immer das genau heißt  „emanzipatorischer“ Ebene diskutierten. Tag 1 des Workshops fand im Normannenhaus in Jena statt. Der Seminarraum wirkte ein wenig klein für die Anzahl der Teilnehmenden, so dass ein relativ frontales Setting geschaffen wurde. Während der Debatten blickte ich lediglich auf die Rücken einiger Teilnehmenden. Unmittelbar hinter mir befand sich die Dolmetscherin, deren Flüstern mich anfangs irritierte.

Zum Auftakt stellte Prof. David Calnitzky, der leider nicht persönlich anwesend sein konnte, in einem Video einige zentrale Ergebnisse des Mincome Experiments der 1970er Jahre in Canada vor. Er betonte, dass die Macht, ‚nein‘ zu sagen das Potential birgt, die protestantische Arbeitsethik herauszufordern. Durch Gleichbehandlung ist es möglich stigmatisierende Effekte dieses Ethos zu mildern oder ganz auszuschalten.

In Session I wurden Aspekte des Sinns und Tätigseins jenseits der Existenzsorge verhandelt. Dabei wurde vorwiegend über Menschenbilder und den Antagonismus von ‚Selbstverwirklichung vs. Hängematte‘ debattiert. Dr. Sebastian Thieme von der Hochschule Harz sprach auf Grundlage seines Papiers ‚Ökonomische Misanthropie‘ von einem negativen bzw. verkürzten Menschenbild, das vor allem in der Standardökonomie vertreten wird. Entsprechende Ignoranz werde daher auch dem Grundeinkommensdiskurs entgegengebracht. Erst in den pluralistischen Ansätzen der Ökonomie werde auch die Haltung gegenüber dem Grundeinkommen offener.

Prof. Theo Wehner von der ETH Zürich profilierte anhand des klassischen Werks ‚Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit‘ von Leontjew, dass sich der Mensch durch das Tätigsein zu sich selbst und der Umwelt ins Verhältnis setzt. Anhand historischer Gemälde, z. B. ‚Die Weber‘ von van Gogh und zeitgenössischer Fotografien, z. B. einer hoch technisierten Fertigungsstraße in einem Siemens Werk, in der nur schwer Menschen zwischen Kabeln und Maschinen auszumachen sind, stellt er die Mentalität der Erwerbsarbeitspsychologie dar, in der die Sinnkategorie oft zu fehlen scheint. Denn hier überwiegt die Nützlichkeitsperspektive.

Prof. Ute Fischer von der FH Dortmund sieht die zentralen Elemente eines Grundeinkommens, die Bedingungslosigkeit ohne Bedürftigkeitsprüfung, die Existenzsicherung und Entkoppelung von Erwerbsarbeit und den Individualanspruch für Bürger_innen als ein Normativ in Richtung eines selbstbestimmten Lebens und als Signalwirkung für eine neue Anerkennungsordnung. Anhand einer Karikatur[1] vertritt auch sie eine klar kritische Position gegenüber der Erwerbsarbeitszentrierung. Ein Grundeinkommen eröffnet den Menschen ebenso die Freiheit, Arbeit nicht mehr um jeden Preis annehmen zu müssen. Dies ändere die Machtverhältnisse. Denn die Existenz ist gesichert.

Prof. Markus Tauschek von der Universität Freiburg debattierte daran anknüpfend über Muße und die Vorstellung eines defizitären Selbst. In einer erwerbsarbeitszentrierten Gesellschaft mit liberaler Gerechtigkeitsvorstellung besteht für Menschen ein allgegenwärtiger Produktivitätsdruck. Untätigkeit, Stillstand oder Muße wird als defizitär wahrgenommen. Durch ein Grundeinkommen erhalte Muße jedoch das Potential zur Ideologisierung in Richtung eines gelingenden Lebens, einer neuen Lebenshaltung. Das defizitäre Selbst könnte so ausgehebelt werden.

Die Diskussion zu Session I wurde von Prof. Hartmut Rosa von der FSU Jena eröffnet. Für ihn würde sich durch ein Grundeinkommen die Art des „in der Welt Seins“ für Menschen ändern. Durch die Pazifizierung der Existenz würde der allgegenwärtige Bewährungszwang und Kampf um einen Platz in der Gesellschaft gemildert. Nach seiner Vorstellung sind Menschen oft zwar faul, aber gierig und wollen ‚mehr‘. Hierfür müssen sie tätig werden. Er fragt nach den Motivlagen und ob Menschen freiwillig den Widerstand und die Resonanz in Arbeit und Tätigkeit suchen würden. Es wurde deutlich, dass eine Neudefinition des Arbeits- bzw. Leistungsbegriffs notwendig erscheint. Denn künftig sollte nicht nur Arbeit als Erwerbsarbeit gesellschaftlich anerkannt werden. Dies könne auch zum Tätigwerden im ‚Dritten Sektor‘ motivieren.

Session II stand im Zeichen neuer Konsum- und Produktionsverhältnisse jenseits und diesseits des Marktes. Prof. Eric Pineault von der Université du Québec in Montréal sprach von der Doppeldeutigkeit eines bedingungslosen monetären Rechts auf sozialen Wohlstand durch ein Grundeinkommen. Er ist skeptisch, ob es sinnvoll wäre, Menschen „mit Geld zu bewerfen“ und fragt, ob es nicht andere, nicht-finanzielle Formen eines Grundeinkommens geben kann. Ihn interessiert die Regulation des Marktes durch ein Grundeinkommen. Er betont, dass der Markt durch ein Grundeinkommen nicht verschwinden würde, sondern lediglich seine Abhängigkeit von ihm verringert würde. Ebenso fragt er, ob es eine Eingrenzung dafür geben müsse, wofür das Grundeinkommen ausgegeben werden darf.

Ähnliche Gedanken äußert Jorge Pinto von University of Minho in Braga, Portugal. Er fragt, inwiefern die Bedingungslosigkeit eines Grundeinkommens in einer wachstumsorientierten Wirtschaft schützenswert sei. Könne ein Grundeinkommen nicht bedingt werden als ein ‚Partizipationseinkommen‘, das nur ausgezahlt wird, solange man ‚teilnimmt‘? Wer aber definiert dann ‚richtige‘ Ausgabegründe und woran man teilnehmen müsse?

In Vertretung für Prof. Michael Opielka stellte ich die Frage nach alternativen Steuerungssystemen jenseits des Marktes. Unsere These lautete, dass das Grundeinkommen im Garantismus die disruptiven Auswirkungen der zunehmenden Digitalisierung und der damit einhergehenden abnehmenden Integrationskraft des Arbeitsmarkts kompensieren kann. Der Garantismus kann hierfür eine geeignete Steuerungslogik darstellen, da er Menschenrechte, Teilhabe und Ethik fokussiert und damit über die etablierte und bestehende Markt-, Staats- oder Familienzentrierung hinausgeht. Er kann im Sinne eines weiten Verständnisses Sozialer Nachhaltigkeit als gesellschaftliches Transformationsprojekt gesehen werden.

Auch Josephine Tröger von der Uni Koblenz-Landau bringt den Nachhaltigkeitsgedanken an. Sie sieht das Grundeinkommen als einen Schlüssel zur suffizienzorientierten Gesellschaft und für nachhaltigere Konsumverhältnisse.

Die Diskussion zu Session II wurde von Prof. Klaus Dörre eröffnet. Er betont, dass für Diskussionen zunächst geklärt werden müsse, von was für einem Grundeinkommen man überhaupt spricht, auf welchen Wohlfahrtsstaat man es beziehen und wie finanzieren will. Auch er sieht die disruptiven Potentiale der Digitalisierung, die Polarisierung des Arbeitsmarktes und ‚digitale Tagelöhner‘, die Löhne erhalten, die nicht existenzsichernd sind. Dennoch brachte er an, dass für ihn die Digitalisierungsthematik oft Ausmaße einer fake-Diskussion annehme. Auch sei für ihn die Intention des Garantismus als Vorschlag eines ‚vierten Wegs‘ neben Liberalismus, Konservatismus und Sozialdemokratie kritisch zu hinterfragen. Weitere Erklärungen blieben hier leider aus, da Prof. Dörre den Workshop aus Zeitgründen verlassen musste. Ferner wurde darüber diskutiert, ob es wirklich politisch gewollt sei, die Macht des Geldes bzw. die monetäre marktbasierte Reproduktion derart zu verändern. Wie könne man sicherstellen, dass die Menschen freie Zeit und Autonomie durch ein Grundeinkommen ‚sinnvoll‘ nutzen? Müssen an die sozialen Rechte tatsächlich Pflichten gebunden werden? Dem wurde entgegengehalten, dass ein Grundeinkommen das Potential birgt, Faktoren einer heute bestehenden ungerechten Welt, die Kosten externalisiert, zu kompensieren. Das transformative Potential des Grundeinkommens als Machtumverteilung dürfe nicht geringgeschätzt werden. Inwiefern es dann mit tatsächlichen Pflichten vereinbar sei, eröffnet Raum für weitere Diskussionen.

Session III, die am zweiten Tag des Workshops stattfand, verhandelte das Grundeinkommen als emanzipatorische Transformationsstrategie. Hanna Ketterer von der FSU Jena und Mitarbeiterin des Kollegs Postwachstumsgesellschaften diskutierte die transformative Kraft eines Grundeinkommens. Sie argumentiert auf Grundlage eines positivistischen Menschenbildes auf Grundlage von Erik Olin Wright und fragt, ob die Menschen ein Grundeinkommen wirklich ‚gut‘ nutzen würden. Ein Grundeinkommen gebe den Menschen die Möglichkeit, ihre eigenen Vorstellungen eines guten Lebens zu verfolgen. Es ermögliche, die Hegemonie der Erwerbsarbeit zu überdenken, da es die Feldkräfte des Arbeitsmarktes schwäche. Dies eröffne Ausgangsoptionen. Das liberale Arbeitsmarktbild und der Produktivitätsdruck könne aufgebrochen werden. Da nun auch nicht bezahlte Arbeit gleichermaßen anerkannt wird, erhalten Menschen die Zeit und den Raum, persönlich zu entscheiden, was individueller Erfolg ist. Dies müsse gesellschaftliche respektiert werden. Mit einem Zwang zum Arbeitsmarkt wäre dies wohl nur schwer vereinbar.

Sarah Marie Hall der Uni Manchester diskutierte, welche Bedeutung das Grundeinkommen für soziale Infrastrukturen in Zeiten der Austerität einnimmt. Sie nimmt eine feministische Perspektive ein und fragt nach einer konkreten emanzipatorischen Transformationsstrategie ‚von wo nach wo und für wen‘. Auch sie erkennt zunächst das emanzipatorische Potential eines Grundeinkommens als Macht, ‚nein‘ zu sagen. Dennoch sei eine rein finanzielle Anerkennungskultur durch ein Grundeinkommen nicht ausreichend, da noch immer patriarchale Strukturen und eine ungleiche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen besteht, beispielsweise in der Pflege. Die Arbeit müsse daher auch anders bzw. geschlechtergleich verteilt werden. Ferner betont sie, dass zunächst Investitionen in soziale Infrastrukturen nötig seien, um eine Voraussetzung für die Implementierung eines Grundeinkommens zu schaffen.

Jörn Lamla von der Uni Kassel sieht das Grundeinkommen als Verbrauchergrundrecht für nachhaltige Verschwendung. Zurecht wählt er einen provokativen Titel, da er betont, dass Debatten um ein Grundeinkommen immer aus dem langen Schatten der Arbeitsgesellschaft heraus geführt werden und an einem gewissen Punkt ins Stocken zu geraten und stoppen. Er scheint Recht zu haben, da dies auch tendenziell in den Diskursen des Workshops erkennbar wurde. Er profiliert daher einen Perspektivwechsel und ein Gedankenexperiment, um den Schatten abzuwerfen: Da wir in einer Konsumgesellschaft leben, schlägt er die gesellschaftliche Transformation in eine Verbraucherdemokratie vor, in der das Grundeinkommen als Verbrauchergrundrecht gilt, das den konsumistischen Habitus stabilisiert. Die ‚Customer Citizenship‘ begründet gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion. Die Sinnstiftung geschehe nun nicht mehr durch Arbeit, sondern durch Konsum. Dies sei bereits heute in sozialen Medien beobachtbar. Durch das ‚sich zur Ware machen‘ verschwimmt die Grenze zwischen Arbeit und Konsum. Indem ein kollektiver Pfad in Richtung nachhaltiger Verschwendung eingeschlagen wird, führe dies zu einer Transformation in Sinne des Degrowth.

In der Diskussion zu Session III stieß seine Idee der Verbraucherdemokratie und nachhaltigen Verschwendung auf reges Interesse, aber auch auf Skepsis. Verschwendung sei ein Privileg für ‚Reiche‘ und daher mit der Bescheidenheit profilierenden Intention des Grundeinkommens als Existenzsicherung nicht vereinbar. Dem wurde entgegengehalten, dass sich Verschwendung auch am ‚unteren Rand‘ der Gesellschaft finden ließe. Abermals wurde der Charakter seiner Idee als provokatives Gedankenexperiment und Transformation des Habitus betont. Das Bedürfnis, Zeit zu sparen, erzeuge Zeitarmut. Wenn man nun das Gefühl haben will, Zeit zu haben, müsse man sie verschwenden.

Der letzte Teil der Veranstaltung fand im Haus auf der Mauer in Jena statt. Der Seminarraum bot mehr Platz und die Diskussionsrunde im ‚Stuhlkreis-Setting‘ schien sich sofort positiv und entspannend auszuwirken. Die Teilnehmenden fanden sich für eine letzte Diskussion in Semi-Open-Space-Gruppen zusammen, um sich über selbst gewählte Themen auszutauschen. In meiner Gruppe sprachen wir über Gerechtigkeitsvorstellungen. Es gibt die konservative Bedarfsgerechtigkeit, die sozialdemokratische Verteilungsgerechtigkeit und die liberale Leistungsgerechtigkeit, die heutzutage im Denken der Menschen zu dominieren scheint. Die garantistische Teilhabegerechtigkeit könnte das Potential bergen, die Mentalität der ‚knechtenden Arbeiterklasse‘ zu hinterfragen und abzulegen.

Die interdisziplinäre Ausrichtung des Workshops beeindruckte mich in dreierlei Hinsicht: Zum einem beeindruckte mich, wie sich die Argumentationslinien in einer vertrauten Atmosphäre, wie die der Semi-Open-Space-Gruppe, wandelten. Nun wurden aus einer lebensweltlichen Sicht auch persönliche Wünsche und Gedanken angebracht, statt über rein wissenschaftliche und theoretische Fakten zu debattieren. Eine wichtige Erkenntnis für mich, da verschiedene Menschen offenbar ganz verschiedene Anliegen hätten, die durch ein Grundeinkommen erfüllt werden könnten. So lohnt es wohl kaum, abstrahiert über ‚die Menschen‘ zu sprechen, die das Grundeinkommen ‚wie‘ nutzen würden. Diese ergebnisoffene und lebensweltlich orientierte Haltung stellt für mich einen Schlüsselfaktor dar, der in weiteren Diskussionen nicht zu vernachlässigen ist, wenn einmal mehr versucht wird, die Änderungen des Habitus der Menschen durch ein Grundeinkommen einzuschätzen oder durch Pflichten gar zu lenken. Die Intention, das liberale Arbeits- und Leistungsethos aufzubrechen, scheint noch immer zu irritieren und zu verunsichern. Dennoch scheint es grundlegend nötig, den Menschen zu trauen, ihnen einen Vertrauensvorschuss zu gewähren und so aufzufordern, ihre Vorstellungen eines guten Lebens zu verwirklichen, anstatt ihnen Misstrauen entgegenzubringen. Pflichten, die mit einem Grundeinkommen einhergehen, scheinen diese Haltung der Bedingungslosigkeit zu verfehlen und eher den Weg für Paternalismus und eine unangemessene Erziehungsdoktrin zu ebnen. Damit der Grundsatz ‚Gleichheit in Freiheit‘ gelten kann, brauchen die Menschen Experimentierräume. Der Reiz, nicht zu wissen, wie Menschen ihr Grundeinkommen nutzen würden, macht genau erst den Wert dieser sozialpolitischen Reform aus, so ein starkes Argument während der Diskurse.

So könnte es künftig sinnvoll sein, einen Kompromiss zu finden. So wurde vorgeschlagen, dass die Diskussionen um einen 6-Stunden-Arbeitstag wieder aufgenommen werden sollten. Vielleicht müsse künftig die bestehende Arbeit lediglich auf mehr Köpfe verteilt werden. Ein anderer Vorschlag bezog sich auf die Einführung einer freiwilligen Arbeitsplatzgarantie, die nicht angenommen werden muss, den Menschen aber jederzeit den Wechsel in den Arbeitnehmer_innenstatus ermöglichen würde, sofern sie dies wünschen.

Zweitens war es interessant zu sehen, wie sich die verschiedenen Fragestellungen an ein bedingungsloses Grundeinkommen je nach fachlich-disziplinärer Perspektive unterscheiden: So fragt beispielsweise die Soziale Arbeit nach dem inklusiven Potential und der Deckung individueller Bedarfslagen von Menschen und welchen Beitrag ein Grundeinkommen hierfür leisten kann. In der Ökonomie wird das Grundeinkommen vor allem aus Sicht des Keynesianismus beleuchtet. Es erscheint zunächst interessant, wenn es Nachfrage und Konsum der Menschen sichert. Dies schürte immer wieder eine Art Zielgruppenkonflikt: Wer „bräuchte“ ein Grundeinkommen „wirklich“? Bedürftige? Investoren?

Drittens wurde trotz der Vielfalt der interdisziplinären Debatten sichtbar, dass sie im Kern immer wieder auf einige wenige zentrale Grundfragen rückführbar sind: Welche Narrative sollen künftig verfolgt werden? Von welchem Menschenbild gehen wir aus? Welche Effekte, Ziele und Zwecke treten durch ein Grundeinkommen auf oder sollen auftreten? Welchen Arbeitsbegriff ziehen wir heran? Was ist sinnvolles Tätigsein? All dies wird von der wohl wichtigsten Frage begleitet, nämlich, welches Steuerungssystem für die Konstruktion eines künftigen Gesellschaftsvertrags nun tatsächlich relevant ist und fokussiert werden soll. Soll der lange Schatten der Erwerbsarbeitsgesellschaft und das liberale Gerechtigkeitsempfinden hinter uns gelassen und in eine garantistische Utopie umstrukturiert werden, in der Ethik und Menschenrechte für Bürger_innen die zentralen Steuerungslogiken sind und nicht mehr rein liberal-ökonomische Zweckinteressen für Arbeitnehmer_innen? Oder soll der Grundsatz ‚wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen‘ beibehalten werden? Aufgabe künftiger Verhandlungen und Debatten zur Thematik muss es sein, auf diese globalen Fragen eine konsensuale Antwort zu finden. Der Workshop des Kollegs Postwachstumsgesellschaften ebnete hierfür bereits den Weg in Richtung einer besseren Gesellschaft für alle.

Philipp Herbrich

[1] https://www.networkingmom.de/wp-content/uploads/2012/09/Nichtgearbeitet_Christiane_Pfohlmann-590×743.jpg